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Abitur und Wehrdienst hatte ich hinter mir. Mein Wunschstudium blieb mir verwehrt, weil ich weder 'freiwillig' 3 Jahre zur Armee ging noch der Stasi dienen wollte. Fast fünf Jahre lang hielt ich es dann an der Cottbuser Universität aus - in drei verschiedenen Studienrichtungen, die mich allesamt furchtbar langweilten. Nichts begeisterte mich. Ich stürzte mich weder Hals über Kopf in wissenschaftliche Abgründe, noch entwickelte ich Erkenntnisdurst oder ungestümen Forscherdrang. Einfach nur um des Studierens Willen ein wahlloses Diplom anstreben und dann weiter sehen. So wollte ich es wohl. Wozu hatte ich schließlich „Hochschulreife“? Doch mit der Zeit sah ich ein, dass diese Halbherzigkeiten zu nichts führten.

Ohne einen Abschluss in der Tasche, hangelte ich mich für den Lebensunterhalt durch verschiedenste Jobs. Schließlich war mir nach einigen Jahren vor lauter Arbeit nicht mehr zum Studieren zumute. Was tun? Ich konnte nicht ewig von Aushilfsjobs satt werden. Das Geld stimmte zwar einigermaßen. Doch die meisten Arbeiten, die man als Ungelernter bekommt, sind nicht erquicklich.

Zuletzt verdiente ich meine Frühstücksbrötchen mit Unterricht in einer Nachhilfe-Firma. Das gefiel mir und es wurde annehmbar bezahlt. Zudem hatte ich durch die körperlich nicht anstrengende Arbeit hin und wieder Mußestunden, in denen ich nicht sofort einschlief, sondern an die Jahre denken konnte, die mir noch bevorstanden. Und so dämmerte es mir endlich, dass irgendetwas passieren musste.

Ein Bekannter, der im Vorstand einer Bank saß, wollte mich in seiner Bank unterbringen. Ich hatte nie im Leben Beziehungen und so war ich fast stolz darauf, endlich mal Vorteile aus Beziehungen zu haben. Doch nach den ersten Gesprächen hörte ich plötzlich nichts mehr von meinem Bekannten. Ich weiß bis heute nicht, was damals vorging. Hatte er doch nicht genug Einfluss? Gefiel dem restlichen Vorstand meine Physiognomie nicht oder meine Biographie (oder beides)? Ich bekam die Stelle nicht und mir wurde eines klar: Um auf Nummer Sicher zu gehen, musste ich mir einen großen, anonymen, krisensicheren Arbeitgeber suchen. Spontan fielen mir Polizei und Finanzamt ein. Die wird es noch in Hunderten von Jahren geben.

In aufwendigen Bewerbungsverfahren siebte man dort die Schar der Abiturienten durch. Knapp acht Prozent der Leute wurde jeweils für tauglich befunden. Mir gaben sie für beides Zusagen. Scheinbar war ich flexibel. Ungefähr ein Jahr nach diesen Bewerbungen sollte es dann losgehen. Ich mochte keine Uniformen und keine Schichtarbeit. Außerdem konnte ich halbwegs mit Zahlen umgehen. Also ging ich zum Finanzamt.

Einen 'kleinen' Haken hatte die ganze Sache allerdings. An die sinnvolleren Stellen einer solchen Behörde gelangt man selbstverständlich nur nach einer entsprechenden Ausbildung. In diesem Fall hatte man mir drei Jahre hierfür zugedacht. Dieser Nachteil beeindruckte mich anfangs kaum, denn nur die Hälfte dieser Zeit sollte der Theorie geopfert werden. Zwar bedeutete das ein weiteres Mal, sich von einer ausgesuchten Riege schlauer Dozenten belehren und mit staubtrockenem Wissen voll stopfen zu lassen. Doch was blieb mir anderes übrig, wenn ich eines Tages einer geruhsamen, geregelten Arbeit nachgehen wollte? Damals wusste ich auch noch nicht, dass sich der Leidensweg für mich um ein Jahr verlängern würde, weil ich durch meine ersten Abschluss-Examina durchgefallen war …

Am letzten Tag meiner bis dahin sorgsam gepflegten Freiheit trank ich teuren Sekt. Sekt schmeckt mir überhaupt nicht, aber der Abend sollte etwas Besonderes darstellen. Ich ließ mein Leben Revue passieren und war voller Zweifel, was die Zukunft anging.

Ich war fest davon überzeugt, dieser Schritt, dieser Einschnitt in meinem Leben würde – auf welche Art auch immer – einen Wendepunkt markieren. Und ich war verunsichert. Denn in den Theorieabschnitten musste ich mich künftig wieder, wie ganz zu Beginn meiner studentischen Karriere, mit einem Wohnheimzimmer anfreunden. Außerdem würde ich sicher (wie üblich) die meisten meiner pseudo-intellektuellen Mitstreiter zum Kotzen finden. Ich hoffte, es würden wenigstens ein paar Leute dabei sein, die nicht vollends abgedreht waren. Oder ab und zu eine Frau, die mich in Wallung bringen würde.

Von der Sektflasche dieses Abends bewahrte ich mir den Korken auf. Ein alberner Aberglauben. Aber immerhin war ich im Begriff, mein bis dahin liebgewonnenes Leben komplett umzukrempeln, mich womöglich einem lebenslangen Moloch hinzugeben. Kurz: ich neigte zur gewaltigen Dramatisierung meiner Situation.

Königs Wusterhausen, die Stadt, in welcher der theoretische Teil der Ausbildung zu absolvieren war, ist ein langweiliges, unsympathisches Kaff. Der Ort wird überhaupt nur wahrgenommen, weil er durch eine S-Bahn-Linie mit Berlin verbunden ist. Trostlos, zukunftslos und alles andere als anziehend. Dennoch hat Königs Wusterhausen tatsächlich eine Gemeinsamkeit mit dem großen Los Angeles: Fast immer wenn von beiden Städten die Rede ist, kürzt man ihren Namen mit zwei Buchstaben ab, L A und K W.

Die vier Jahre waren unvergesslich. Aber unvergesslich bedeutet dabei nur selten unvergesslich gut.

Es ist immer ein gewagtes Unterfangen, jemandem allein durch Erzählung oder Niederschrift nahe zu bringen, wie bestimmte Lebensumstände wirklich abliefen und was in den Hirnen umher geisterte. Keiner dürfte je den Anspruch erheben, er würde eine Fülle von Erlebnissen und Emotionen derart wiedergeben können, dass der Zuhörende oder Lesende alles uneingeschränkt nachempfinden kann. Ich maße mir das auch nicht an. Aber einiges – nur ein Bruchteil der noch immer nachwirkenden Eindrücke – drängte aus meinem Kopf hinaus aufs Papier.


ohoa
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